Manchmal, da muss ich Dinge einfach ausprobieren, obwohl ich von vornherein weiß, dass sie nicht funktionieren oder mich enttäuschen werden. Es ist ein innerer Zwang, der mich dazu treibt. Nennt es naiv. Ich nenne es: neugierig, optimistisch, hoffnungsvoll. Vielleicht kommt es ja am Ende doch, das Heureka-Erlebnis mit fünf Ausrufezeichen, mindestens. Es ist aber eigentlich egal, wie man es nennt. Tatsache ist: Ich muss. Ich muss, muss, muss. Ich MUSS, kapiert?
Der Lindenbaum vor meinem Elternhaus: Dort wird Kaffee getrunken, geplaudert und Pause gemacht, Dinge werden abgelegt und wieder abgeholt, Gäste werden empfangen und verabschiedet. Gerade hat der Baum wunderschön geblüht und das Blätterdach wurde zum summenden Bienenhaus. Lindenblüten sind perfekt, um Zucker, Desserts oder Getränke damit zu beduften. Auch ihre schweißtreibende Wirkung bei grippalen Infekten ist bekannt.
Ganz in Vergessenheit geraten ist hingegen die Verwendung der Linde als Speisebaum. In knappen Zeiten hat man mitunter auf nahrhaftes Laub wie etwa Lindenblätter zurückgegriffen, um beispielsweise Getreidemehl zu strecken. Ich muss zugeben, es kostet einige Überwindung, mit grünem Mehl zu backen. Es ist aber äußerst spannend, auf den kulinarischen Spuren unserer Vorfahren zu wandeln, die den heutigen Überfluss nicht kannten und kreativ mit dem umgehen mussten, was ihnen zur Verfügung stand. Ich habe schon einmal Butterwaffeln mit Lindenmehl gebacken (Lindenblätter und Blattknospen trocknen, portionsweise in einer elektrischen Kaffeemühle pulverisieren, versieben, 30 Prozent des Mehls im Rezept durch Lindenblättermehl ersetzen). Sie waren durchaus genießbar, im besten Sinn des Wortes.
Auf der Suche nach weiteren kulinarischen Verwendungsmöglichkeiten der Linde las ich von:
* zarten Lindenblättern als Salatzutat oder Pfannengemüse,
* Brotrezepten,
* Lindenfruchtschokolade.
Zack. Caught in a trap. “Unreife Lindenfrüchte und getrocknete Lindenblüten können zu einer Paste verarbeitet werden, die nach Schokolade schmeckt.“ Schon war ich im MUSS-Modus, echt arg, wie schnell das geht.
Das Rezept
Im 18. Jahrhundert hat man die wundersame Entdeckung gemacht, dass das Verreiben der unreifen Lindenfrüchte mit getrockneten Lindenblüten ein schokoladenähnliches Aroma hervorbringt. Verantwortlich dafür sind vor allem die nussähnlichen Samen in den Früchten, genauer gesagt deren ätherische Öle. Offenbar wurde Lindenschokolade für kurze Zeit sogar kommerziell hergestellt. Rezepturen und Technologien sind jedoch mehr oder weniger verloren gegangen.
Zutaten
40 g getrocknete Lindenblüten
500 g unreife Lindenfrüchte
Traubenkernöl
1. Die Lindenblüten pulverisieren.
2. Die Lindenfrüchte mit den Lindenblüten und gerade so viel Öl vermixen (ich habe einen normalen Standmixer verwendet), dass eine Art Paste entsteht. Voilà. Das Ganze sieht dann so aus:
Im Rezept, das ich gefunden habe, steht noch die Anmerkung, dass die Lindenschokolade ihren Geschmack sehr schnell verliert. Deshalb wird empfohlen, die Lindenblüten zu trocknen und die unreifen Lindenfrüchte einzufrieren, damit die Paste am Tag des Verzehrs frisch zubereitet werden kann.
Das Ergebnis
Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Pferdefutter war, das da vor mir in der Schüssel. Eingeweichte Rübenschnitzel sehen ja ganz genau so aus. Der Geschmack: Ein wenig bitter, ein wenig säuerlich (alles Aromenkomponenten guter Schokolade…), aber WIE Schokolade? Nein.
Die Fortsetzung
Natürlich hab ich nicht aufgegeben und kleine Mississippi Mud Pies daraus gemacht: Lindenschokoladenfüllung (aus 1 Ei + 70 g Staubzucker schaumig gerührt, 50 g Lindenschokolade untergehoben – ergibt 4 kleine Pies) auf Mürbteigboden, bei 180 °C etwa 35 Minuten gebacken, abgekühlt mit Schlagobers und Kakaopulver dekoriert.
Die Pies waren gut, aber das Schokowunder ist ausgeblieben.
Die Lindenschoko-Enttäuschung war erst halb verdaut, da kam mir ein Ö1 Moment Kulinarium in den Sinn, das kürzlich erst auf Sendung war. Es ging um Bubble Tea.
Der MUSS-Modus, verdammt.
Spannend zu lesen und gar nicht abwegig. Lindenbluetentee ist in der modernen Spitzenkocherei sehr beliebt. Als Pochier- oder Sous Vide-Sud fuer Fische und Meeresfruechte oder als Injektionsfluessigkeit fuer ebendiese. Auch die gruenen Fruechte werden gerne eingesetzt.
AntwortenLöschenEcht Eline? Das ist auch spannend... Vor allem, dass auch die grünen Früchte keine Neulinge in den Profiküchen sind... Ich dachte mir, ich stelle da was komplett "Außerirdisches" vor und alle schütteln nur ungläubig den Kopf oder runzeln die Stirn.
AntwortenLöschenKamillentee und Kamillenblüten in der Küche sind auch sehr beliebt - nur um dich etwas anzustachel ;-)
LöschenIch hab da schon eine Idee ;-)
LöschenIn meinem Rezept steht, die Kerne 40 Min im Ofen zu rösten. Evtl macht das den Unterschied?
AntwortenLöschenUnd natürlich gehört noch Zucker dazu
Vielen Dank für den Hinweis! Erst kürzlich ist auch bei mir die Lindenschokolade wieder via Instagram in mein Leben gespült worden. Rösten könnte den Unterschied machen und beim Zucker hast du 100% recht - auch eine Möglichkeit: Die Lindenfrüchte fermentieren! Denn Kakaobohnen sind ja auch fermentiert!? Ich bleib am Ball - und berichte! Alles Liebe!
LöschenGenau- das rösten, geht auch in der Pfanne, ist das Geheimnis
LöschenSuper!!! ♥
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