Seiten

Mittwoch, 13. März 2013

Mühlviertler Mohnnudeln, so many ways


Warum, frage ich euch, kann es für ein Gericht nicht auch nur ein Rezept geben? Das Rezept, das ultimative? Ein Rezept, bei dem ich weiß, dass es gelingt und dass es mir schmeckt? Dass nichts Besseres mehr kommt?

Aber nein, stattdessen hat jeder Koch sein eigenes, jede Köchin sowieso. Übernommen von Vorfahren oder Lehrmeistern, verfeinert über die Jahre, angepasst an den eigenen Geschmack. Und plötzlich weiß man nicht mehr, nach welchem Rezept man kochen soll, wenn man sein Rezept noch nicht gefunden hat. Weil es einfach zu viele gibt.

Mit den Mühlviertler Mohnnudeln geht’s mir so. Ich habe leider kein Ahnenrezept, an das ich mich anlehnen kann. Eine Mühlviertlerin ohne immergelingendes Mohnnudel-Rezept? Ja, offenbar. Ich erkläre mir das mit der relativen Nähe meines Heimatortes zur Donau, jenem Gewässer, das das Mühlviertel nach Süden hin vom Rest der Welt Österreichs abgrenzt. Bei uns war der Mohnanbau wohl nicht mehr ganz so alltäglich im bäuerlichen Schaffen wie er es weiter nördlich war.
Mohnnudeln sind eine traditionelle Spezialität des Mühl- und Waldviertels. Sie vereinen einige der wichtigsten Feldfrüchte dieser Region in einem Gericht: Kartoffeln, Getreide, Mohn. Im Mühlviertel dominierte der Blaumohn, im Waldviertel wurde und wird vor allem der  Graumohn angebaut. Beide sind, wie auch der hellsamige Weißmohn, Varianten des Schlafmohns, Papaver somniferum. Seinen Namen hat der Schlafmohn den Opiaten zu verdanken, die zwar hauptsächlich im Milchsaft der unreifen Mohnkapsel, in geringen Mengen aber auch in den Samen enthalten sind. Genau deswegen wurde hier und da auch vom Mohnzutz Gebrauch gemacht: Die Samen, in ein Tüchlein eingeschlagen und zum Zutzeln gegeben, haben Kleinkinder recht effektiv ruhig gestellt. Himmel, waren das Zeiten.

Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schon recht seltsam, dass aus dem Mohn, der in langer Tradition bei uns auf den Feldern gedeiht, gleichzeitig auch Opium hergestellt werden kann. So richtig bewusst ist mir das erst geworden, als ich bei Wikipedia las, der Anbau von Schlafmohn wäre in Österreich völlig legal (OMG!), mehr noch, man könne ihn sogar in unzähligen Regalen von Lebensmittelmärkten finden (OMG!!!). Hier ist also kulinarische Normalität, was anderswo streng reglementiert, ja genehmigungspflichtig ist. Hm, das erklärt womöglich einiges ;-)


Mohn gequetscht haben wir früher immer in der Stube am Kindertisch (Familienfeiern führten zu Platzmangel, Platzmangel führte zum Kindertisch, einer herrlichen Einrichtung: so ganz frei von störenden Erwachseneneinflüssen fühlten wir uns selbst immer so … erwachsen). Am Kindertisch also war die Tischplatte dünn genug, um die alte Mühle festzuschrauben. Bald rieselte der Blaumohn in den Messingtrichter, die Kurbel drehte sich in gleichmäßigen Schwüngen und feuchte, blauschwarze Masse sammelte sich in der kleinen Schüssel unterhalb des gedämpft murmelnden Mahlwerks. Ich saß oder stand auf da Sof’, sah zu, drehte selbst. Dann gab es Mohnstrudel oder gebackene Mäuse, dick mit gezuckerter Mohnmasse bestrichen. Aber an Mohnnudeln kann ich mich eigentlich nicht so recht erinnern.

Georg Friedl macht seine Mohnnudeln aus einem Teig, der aus gekochten Erdäpfeln und Mehl besteht. Man könne aber, je nach Vorliebe, auch den Teig für Sterznudeln (Wasser, Salz, Mehl), Zweckerln (Mehl, Öl, Wasser) oder Erdäpfelnudeln (Erdäpfel, Mehl, Grieß, Ei, Muskat) verwenden. Und als wäre das nicht genug, ist es weiterhin Geschmackssache, ob man die Nudeln in Wasser kocht, in Butter anbrät oder in einer Rein überbäckt.

Na gut, du Rezeptechaos, dann suche ich mir halt für den Anfang das ungewöhnlichste aus. Und das geht so:

In einem Kochtopf bringt man ½ Liter Wasser zum Kochen, gibt 3 kleine, geschälte Kartoffeln hinein und bedeckt alles mit ½ kg Mehl. Mit einem Kochlöffelstiel sticht man Löcher in das Mehl, damit das Wasser durchkochen kann. Nun lässt man ½ Stunde kochen. Anschließend stürzt man die Masse auf ein Brett, zerdrückt die Kartoffeln und verarbeitet alles zu einem Teig. Dann formt man kleine Nudeln aus dem Teig, der noch etwas mehlig sein kann. Die Nudeln gibt man in eine vorgewärmte Schüssel, bestreut gut mit geriebenem Mohn und Zucker, übergießt mit reichlich heißer Butter und mischt vorsichtig durch.

Das Rezept ist eines von drei Mohnnudel-Anleitungen aus dem wunderbaren Buch „Der Bäuerin in den Kochtopf g’schaut“ von Roswitha Willnauer. Es ließ bei mir jedoch einige Fragen offen: Wie groß sind kleine Kartoffeln? Wie lässt sich brennend heiße Kartoffelteigmasse auf einem Brett zu einem Teig verkneten? Und schmeckt es tatsächlich, wenn die Nudeln nach dem Formen gleich in einer Schüssel angerichtet werden?


Die Fragen sind beantwortet und dieses Rezept ist dabei herausgekommen:

Mühlviertler Mohnnudeln


Zutaten für etwa 6 Personen

½ Liter Wasser
Salz
3 kleine, geschälte Kartoffeln (etwa 250 g)
500 g Mehl
150 g Butter
75 – 150 g Mohn, frisch gequetscht
Zucker nach Geschmack

1. Wasser in einem mittelgroßen Topf aufkochen und salzen.

2. Die Kartoffeln dazugeben (größere Kartoffeln vorher noch halbieren) und das Mehl darauf schütten. Nicht umrühren!

3. Mit einem Kochlöffelstiel einige Löcher bis zum Topfboden durchstechen, damit der Wasserdampf entweichen kann. Den Topf nicht abdecken, sondern offen etwa 30 Minuten auf kleiner Flamme kochen lassen. Nach dieser Zeit sollten die Kartoffeln gar sein.

4. Den Topf vom Herd ziehen und mit den Knethaken des Handmixers durchkneten, bis die Kartoffeln schon gut zerkleinert sind. Dabei kühlt die Masse etwas ab.

5. Nun die gesamte Masse (auch mit dem verbliebenen Wasser) auf eine Arbeitsplatte stürzen und mit dem Händen zu einem glatten Teig verkneten. Das funktioniert erstaunlich gut!

6. Den Teig in mehrere Portionen teilen und zu fingerdicken Nudeln formen.

7. In einer Pfanne die Butter zerlassen und den Mohn mit dem Zucker dazugeben. Die Nudeln in die Pfanne geben und nochmals kurz erwärmen.

8. Nach Belieben noch mit Staubzucker bestreuen.


Die Frage, ob dies nun mein Mühlviertler Mohnnudelrezept sei, beantworte ich mit einem vorsichtigen Nein. Es ist zwar gut. Aber wer weiß, was da noch kommt?!

10 Kommentare:

  1. Guten Morgen Frau/Fräulein aus dem Mühlviertel,
    also das Kompliment mit den Photos kann/MUSS ich einfach retournieren! Deine Bilder sehen toll aus, das Rezept auch phantastisch & dein ausführlicher Post einfach beeindruckend - ich sehe mir gezwungen jetzt öfters mal bei dir reinzuschauen, hoffe du hast nichts dagegeben *gg* :-)

    Weil ich nicht so der Mehlspeisen/SüßspeisenFan bin (mach es immer nur wenn Besuch kommt) bin ich gespannt auf deine nächsten Rezepte, also wenn die Bilder wieder so toll werden ...

    LG Netzchen

    AntwortenLöschen
  2. Ohja, der Kindertisch, was haben wir ihn geliebt!!!!
    Witzig, erst letzte Woche standen bei uns Mohnnudeln am Programm- traumhaft, mit Rhabarberkompott.
    Dein Rezept muss ich auch unbedingt versuchen bei nächsten Mal!
    Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
  3. musste sehr über diesen satz "Am Kindertisch also war die Tischplatte dünn genug, um die alte Mühle festzuschrauben." schmunzeln, denn auch NEUE mohnmühlen passen nicht auf dicke arbeits- oder tischplatten. bei uns ist es ein uraltes beistellkastl, das dann herhalten muss, was aber wiederum nicht viel nützt, weil die mohnmühle, die neue!, gerne blockiert.
    jedenfalls danke für diese wunderbare exkursion in die welt der mohnnudelteige im speziellen und der alleinherrschaft von rezepten im allgemeinen. ich kenne das gut.
    und ganz besonderen dank dafür, dass du das wilde rezept (der georg friedl hat ja eh auch so eins im buch) ausprobiert hast, das steht seit ewigkeiten auf meiner liste, weil ich so wie du wissen wollte, ob das hinhaut.
    meine lieblingsmohnnudeln waren früher die vom wrenkh, mit mohn-honig-butter, zart zimtig, dier nudeln flaumig und trotzdem nicht zu weich (gatschige, brrr), schön erdäpfelig schmeckend, jetzt wäre eh noch die richtige zeit dafür. bin versucht, heute abend...

    AntwortenLöschen
  4. Genau das richtige Essen für dieses Wetter da draußen! Danke für das Rezept! Die Kinder werden es lieben. Liebe Grüße aus Wien Lisi

    AntwortenLöschen
  5. Ein wunderbares Rezept das mich an Kindheitstage im Waldviertel erinnert. Genauso hat es meine Oma auch gemacht - nun habe ich ein Rezept. Danke! Liebe Grüße aus Linz Renate

    AntwortenLöschen
  6. Das freut mich Netzchen, danke für die vielen Komplimente :-) Schön, wenn du da bist, du bist ja mittlerweile auch in meinem Roll...

    Ja, unbedingt, Himbeerschoko! Und erzähl mir dann, obs funktioniert hat!

    Ich hab dasselbe Problem, Katha. Auf meiner Arbeitsplatte in der Küche kann ich die Mühle nur ohne dieses Gummiteil festschrauben, dann rutscht sie aber zu sehr, um ordentlich damit mahlen zu können. Letztes Mal haben wir sie an diesem kleinen Holztreppchen vom Ikea festgemacht, das geht, wenn man sich gleichzeitig draufsetzt ;-) Hast du die Nudeln denn mittlerweile ausprobiert?

    Gern, Lisi, liebe Grüße zurück!

    Wirklich, Renate? Ob sie wohl genau so schmecken werden wie bei deiner Oma? (wahrscheinlich nicht, so gut wirds bei einem selbst einfach nieeeee....)

    AntwortenLöschen
  7. bin seit jahrzehnten auf der suche nach diesem rezept. meine uroma und meine oma machten mohnnudeln und dieses rezept ist genau das, was ich als kind beobachtete. traute mich allerdings nie darüber, es selbst zu versuchen. alle versuche mohnudeln nach anderen rezepten zu machen, misslangen, weil sie nicht annähernd dem original glichem.
    jetzt habe ich mit 55 jahren per zufall diese tolle seite - perfekte beschreibung jener zeit samt rezept - gefunden.
    vielen dank !!! werde öfters reinschauen und vielleicht zu meinen mühlviertler wurzeln, obwohl ich jetzt im tiefsten
    winkel des traunviertels mein glück gefunden habe, zurückfinden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich freu mich sehr über deinen Kommentar und wünsche dir noch viele, viele (kulinarische) Begegnungen mit deinen Mühlviertler Wurzeln :-) Danke!

      Löschen
  8. Endlich habe ich hier dieses alte Rezept gefunden! Vielen Dank! Meine Mutter hat die Mohnnudeln auch immer so gemacht, allerdings ganz ohne Erdäpfel! Nur Wasser, Salz und Mehl, und dann nur etwa 5 min gekocht. (Wahrscheinlich ein noch älteres Rezept aus Notzeiten!) Die haben mir als Kind auch immer sehr gut geschmeckt! Heute 60 Jahre später mache ich sie immer noch manchmal so! Wir geben übrigens statt Zucker immer Honig darüber!
    Liebe Grüße aus dem Waldviertel

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh ist das schön ... bitte, sehr gerne!
      Ohne Erdäpfel werd ich das auch einmal probieren, das schmeckt bestimmt ...
      Ganz liebe Grüße ins Waldviertel!

      Löschen

Über Kommentare freue ich mich immer. Herzlichen Dank dafür!
Hinweis: Mit dem Abschicken deines Kommentars erklärst du dich damit einverstanden, dass der von dir geschriebene Kommentar sowie personenbezogene Daten, die damit verbunden sind (beispielsweise Username, Mailadresse, IP-Adresse), an Google-Server übermittelt werden.
Mehr Informationen dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.